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Mit Sicherheit war dieses der aufregendste Tag. 

Gemütlich mache ich mich auf den Weg. Es hat sich gelohnt, hier einen Tag zu verweilen. Pünktlich 5 Minuten vor Öffnung bin ich wieder am Eingang. Das Museumsdorf in Steele ist absolut sehenswert. In Punkto Exponate ist es jederzeit dem Fort Edmonton gleichwertig. Ebenso wie in fort Edmonton hat man das Freimaurergebäude auch hierher versetzt, mitsamt Aushängeschild. Mehr Personal in Kostümen wäre schön, aber der Ort hat heute nur etwa 100 Einwohner. Was wäre gewesen, wenn die Eisenbahn hierher und nicht nach Cranbrook gekommen wäre? Dann würden jetzt hier 20 000 Leute wohnen. Auffällig, dass man es hier gehäuft mit finnischen Namen zu tun hat und auch einige der Häuser sind von Finnen ohne einen Nagel erbaut. 

Ich fahre nach 2 Stunden die Nebenstraße weiter und besuche eine Forellenfarm. Man fängt die Forellen, melkt sie und zieht die Brut auf. Außerdem versucht man sich auch an andere Fischarten wir Stör und Lachs. Ein kleines Restaurant mit Fischgerichten wäre sicher der Höhepunkt, passt aber nicht in den Bildungsauftrag. 

In sparewood steht nicht nur der weltgrößte (1972) Muldenkipper der Welt, sondern die Folgen des jahrelangen Abbaus von Erzen sind weithin sichtbar. Derzeit wird Kohle abgebaut und beschäftigt doppelt so viele Arbeiter, wie der Ort Einwohner hat. Ich schraube mich auf über 1200 m über den Pass nach Alberta und lasse die schneebedeckten Gipfel endgültig hinter mir. Mischwälder lösen die überwiegenden Nadelwälder ab. Ein Tunnelchen ist die ganze Abwechslung auf dieser schönen Straße, quer durch die Rockies. In Crownest überquere ich bei etwa 1300 m den pass und befinde mich nach wenigen Kilometern in der Prärie. Pinchers creek liegt am Rande. Die vielen Windkraftanlagen sind hier unübersehbar. Sicher (noch) nicht so viele wie in unseren Offshore-Parks, aber immerhin beachtlich. Die Anlagen hier sind von staatlichen Stellen errichtet. Diese sorgen auch für die Infrastruktur, denn der Strom muss ja irgendwo hin. Die Anlagen selbst kommen aus den US. Wegen der Vögel muss man sich hier keinen Gedanken machen. In der weiten Prärie ist die Krähe nahezu der einzige Vogel. Nur wo genügend Bäume in einer Baumgruppe zusammen sind, finden sich neben Sperlingen auch andere Vögel. Zahlreiche Wasserlöcher finden sich entlang der Straßen, denn von irgendwoher musste das Material für den hohen Weg (Highway), der schnell trocken wurde, ja kommen.

Ich biege ab nach Süden und befinde mich sofort wieder auf dem Cowboytrail. Die Eisdiele, an der wir von der jungen Schweizerin so freundlich bedient wurden, sehe ich zu spät. Sie steht aber auch unscheinbar wie jedes Farmhaus mutterseelenallein in der Prärie! Eine Möglichkeit zum Umkehren ergibt sich erst in 50 km. Ich fahre weiter und lande in einem Safari-Park für wilde Bisons. Leider sind sie zu weit weg und äsen in einem Gestrüpp. Hier in der welligen Gegend des Vorgebirges kann man es riskieren, dass Autos auf festen Wegen durch die Weide fahren. Die Tiere haben genügen Deckungsmöglichkeit und so finde ich die zweite Herde, die es hier geben muss, nicht. 

Cardston steht als Nächstes auf dem Programm. Downtown „hängt jeder Hund tot über den Zaun“. Ein Kleinstadtzentrum, das jedem Film zur Ehre gereicht. Das Haus von Ora Cards finde ich beinahe zufällig. Den Mormonentempel muss ich mir zeigen lassen. Anders als im Navigator steht er außerhalb von downtown auf einem Hügel (was denn sonst!). Tatsächlich ist er aus weißem Marmor und in einer Architektur, die absolut nicht hierher passt. Protziger und hässlicher kann hier am Rande eines der größten Indianer-Reservate im Umkreis von 500 km ein Gebäude nicht sein. Aber darüber mag jeder seine eigenen Gedanken haben. Die Tempel in Frankfurt  (Main 1987) und Freiburg (Sachsen 1985) sehen dagegen sehr bescheiden aus. Die Mormonen kamen überwiegend der Arbeit wegen in das Land. Die Eisenbahn brauchte zuverlässige willige Arbeiter und keine Abenteurer. Viele gingen in die Landwirtschaft und bewirtschaften bis heute erfolgreich Einzelfarmen, überwiegend Quartersections. Die Neugierde treibt mich, einen Besuch bei den Hutterern vorzunehmen. Ich treffe auch einen jungen Burschen (16-21???) der mich ein wenig aufklärt. Etwa 100 Personen leben in dieser Kommune. Weil ich heute noch nicht gegessen habe bekomme ich ein Sandwich von frisch gebackenem Brot. Im Speisesaal ist alles für das Abendessen nach dem gerade stattfindendem Gottesdienst vorbereitet, an das ich natürlich nicht teilnehmen darf. Wir fahren über das Gelände. Es darf geraucht werden und Bier getrunken werden. Die Kinder erhalten zusatzunterricht in Hochdeutsch, das sie zu ihrem niederdeutsch zu Hause sprechen. In den staatlichen Schulen ist der Besuch bis klasse 9 obligatorisch. Danach sind die meisten fertig, sie verstehen vom Handwerk und Ackerbau wesentlich mehr als ihre Altersgenossen und sind auf vielen Höfen gerne gesehen. Wer will kann aber die Schule weiter besuchen oder wandern und Geld verdienen für ein Auto oder was auch immer. Denn in der Kommune gibt es kein Geld. Man kann jederzeit zurückkommen und sich den Gesetzen der Kommune unterwerfen. Privateigentum bleibt privat, aber was in der Kommune erwirtschaftet wurde bleibt in der Kommune. Angeblich haben sie nur eine Quartersection. Zugepachtet haben sie bestimmt noch mehr als eine! Also bewirtschaften sie weit über 120 Hektar. Mir schwirrt der Kopf: Schafe, Milchkühe, Schlachtvieh, Broiler, Enten, Truthähne, Schweine, einfach alles und immer in Hunderten ja tausenden. In einige Ställe darf ich reinschauen. Also wer meint, dass Tierwohl sich nicht mit industrieller Mast verbinden lässt, sollte eine Lektion bei diesen Menschen nehmen. Unsere Unterhaltung zieht sich hin und es wird klar, dass ich hier nicht übernachten kann. Morgen ist Sonntag, auch für diese Menschen und da steht die innere Einkehr im Mittelpunkt. Gäste, zumal andersgläubige, sind da nicht unbedingt erwünscht.

Dadurch gestaltet sich die Suche nach einem Quartier problematisch. Am Sonnabend Abend in einer Stadt nahe der US Grenze ist es um 21 Uhr nicht leicht etwas zu finden. Nach etlichen Versuchen gelingt es mir am Rande der Stadt in einem „Inn“ der whynham- Gruppe das letzte Zimmer zu ergattern. Inzwischen ist es 22 Uhr und obwohl das Hotel heruntergekommen wirkt und von Shiks geführt wird, ist das Zimmer sauber und geräumig und der Preis geht in Ordnung. Auffällig in der Stadt sind die deutlichen Hinweise auf Lidquer-Shops. Das indianer-Reservat grenzt unmittelbar! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!